Interview mit David Kessler
„Regionalität heißt für uns auch: bewusst verzichten können.“
Seit 14 Generationen ist das Naturhotel Chesa Valisa im Kleinwalsertal tief mit der Region verwurzelt. David Kessler, der das Hotel gemeinsam mit seiner Schwester Magdalena führt, weiß, dass echte Regionalität mehr bedeutet als kurze Lieferwege.
Im Gespräch erzählt er, warum Regionalität im Alltag manchmal Mut zur Lücke erfordert, wie die Geschichte seiner Familie das Denken im Hotel prägt – und wie junge Menschen mit Projekten wie der GASCHT wieder für den Tourismus begeistert werden sollen.
David, was bedeutet für dich persönlich Regionalität – und wie definierst du sie als Gastgeber im Naturhotel Chesa Valisa?
Für mich beginnt Regionalität beim bewussten Einkauf. Wir kaufen ganz klar regional ein – und das bedeutet auch: Wir akzeptieren, dass es manches nicht gibt. Erdbeeren im Winter? Die lassen wir ganz bewusst weg. Wir lieben den satten Geschmack der Lebensmittel, die tatsächlich auch Saison haben und nicht das ganze Jahr über geerntet werden können.
Auch beim Bauen ist uns Regionalität enorm wichtig. Wir arbeiten ausschließlich mit Handwerksbetrieben aus der Region. Das bedeutet: gewohnte Technik, klare Kommunikation, stabile Qualität – und ja, der Preis ist manchmal höher. Aber das ist es uns wert. Denn so bleibt die Wertschöpfung im Tal bzw. in Vorarlberg– und das macht für mich echte Regionalität aus.
Oft wird Regionalität mit „aus Österreich“ gleichgesetzt. Tatsächlich liegt Deutschland für euch geografisch oft näher. Wie geht ihr damit um?
Das stimmt – wir sind im Kleinwalsertal geografisch eine Sackgasse, aber kulturell ein Kreuzungspunkt. Für uns endet Regionalität nicht an der Landesgrenze. Wir beziehen zum Beispiel alle Weine zu 100 % aus Österreich, ganz bewusst. Aber bei vielen anderen Dingen denken wir grenzenlos – so wie es auch unsere Geschichte vorlebt.
Unsere Vorfahren kamen einst als geflüchtete Valiser (Schweizer) ins Tal – ohne Besitz, mit geliehenem Boden in Österreich und finanzieller Unterstützung aus Deutschland. Seit jeher leben wir den europäischen Gedanken – und das spiegelt sich auch heute in unserem Verständnis von Regionalität wider. Gerade durch unsere besondere Lage beziehen wir vieles aus dem benachbarten Allgäu und aus Bayern – oft näher und ökologischer als Produkte aus anderen Teilen Österreichs. Für uns zählt nicht die Grenze auf der Landkarte, sondern der ehrliche, nachhaltige Weg von der Produktion bis zu uns ins Haus.
Welche Produkte oder Dienstleistungen konntet ihr in den letzten Jahren erfolgreich auf regionale Anbieter umstellen? Gab es besondere Herausforderungen dabei?
Ein großer Meilenstein war für uns die Umstellung auf 100 % Bio im Jahr 2005. Damit haben wir nicht nur beim Einkauf von Lebensmitteln einen wichtigen Schritt gemacht, sondern ein ganz neues Bewusstsein geschaffen – für Qualität, Nachhaltigkeit und Regionalität. Und das nicht nur auf dem Teller. Für uns bedeutet Regionalität auch, Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die mit uns arbeiten. Unsere NaturTALENTe – also unsere Mitarbeitenden – sind ein zentraler Teil unseres Hauses. Deshalb haben wir mit dem Bau der Team Lodge neue „Heimate“ geschaffen, damit sie hier im Tal gut wohnen können. Und 2024 konnten wir mit dem Kauf der Team Lodge 2 weiteren Wohnraum sichern.
Regionalität heißt für uns: gemeinsam wachsen, gemeinsam leben. Natürlich ist das ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Aber wir bleiben dran – weil es für uns einfach dazugehört.
Gibt es Momente, in denen man bei der Regionalität Kompromisse eingehen muss? Und wie trefft ihr solche Entscheidungen?
Ja, solche Momente gibt es. Aber für uns ist klar: Wenn wir zum Beispiel keine Bio-Äpfel aus der Region bekommen, dann kaufen wir auch keine Bio-Äpfel aus Neuseeland. Dann gibt es eben gerade keine Äpfel. Punkt.
Wir entscheiden sehr bewusst. Und wenn ein Kompromiss notwendig ist, dann nur, wenn er Sinn ergibt – für die Umwelt, für die Qualität und für unsere Gäste.
Welche Hürden erschweren eine stärkere regionale Versorgung?
Ein großes Thema ist die Zertifizierung. Viele Produzierende in der Region könnten eigentlich Bio liefern – aber die Kosten und der Aufwand für eine offizielle Bio-Zertifizierung sind so hoch, dass es sich für sie einfach nicht lohnt.
Hier ist die Politik gefragt. Zertifizierungen müssen transparenter und leistbarer werden – nur so kann echte Regionalität auch langfristig wachsen.
Regionale Produkte bedeuten oft kürzere Transportwege und eine bessere CO₂-Bilanz. Gibt es weitere nachhaltige Vorteile, die weniger offensichtlich sind?
Ja, ein ganz zentraler Punkt ist die Wertschöpfung. Wenn wir regional einkaufen, profitiert das ganze Tal. Wenn alle gewinnen – Produzierende, Betriebe, Mitarbeitende und Gäste – dann ist das nachhaltiger als jede Ökobilanz auf dem Papier. Es geht um ein lebendiges, funktionierendes Miteinander.
Wie wichtig sind euch persönliche Kontakte zu regionalen Produzierenden?
Extrem wichtig. Ich kenne jeden unserer Hersteller – und zwei Drittel der Winzer sogar persönlich. Da geht’s um Vertrauen, um Austausch, aber auch um Kontrolle. Ich weiß, wo’s herkommt. Und das gibt uns und unseren Gästen ein gutes Gefühl.
Wie möchtet ihr das Thema Regionalität in Zukunft weiterentwickeln – für euch und das Kleinwalsertal?
Für uns schließt sich da ein Kreis. Regionalität heißt für uns nicht nur, nachhaltig einzukaufen oder mit heimischen Betrieben zu bauen – es bedeutet auch, nachhaltig für die Menschen hier zu wirken.
Ein großes Anliegen ist es uns deshalb, junge Menschen für die Hotellerie und Gastronomie zu begeistern – und ihnen echte Perspektiven in der Region zu eröffnen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die GASCHT: eine Ausbildung speziell für den Tourismus im Alpenraum, die Theorie und Praxis direkt miteinander verbindet.
Bei GASCHT lernen die Jugendlichen nicht nur im Klassenzimmer, sondern vor allem im echten Leben: Sie arbeiten in Betrieben wie unserem, erleben hautnah, wie aus der Traube Wein wird, wie in der Käserei Käse entsteht oder wie verantwortungsvoll Fleisch beim heimischen Schlachter verarbeitet wird. So verstehen sie die gesamte Wertschöpfungskette – von der Natur bis zum Gast.
Tourismus neu gedacht – mit echten Werten, echter Begeisterung und echter Nähe zur Region. Das ist unser Beitrag für eine lebendige und gesunde Zukunft im Kleinwalsertal.